Donnerstag, 12. Januar 2006

De bello paedagogico (11-01-06)

Wussten Sie eigentlich, dass lehrerorientierter Unterricht Lernen fast unmöglich macht? Oder dass, anders ausgedrückt, in lehrerorientiertem Unterricht günstigstenfalls eine Einprägung von Sachverhalten unter Druck erfolgt, dies aber kein eigentliches Lernen ist?
Abgesehen davon, dass die aktuellen Erkenntnisse der Lernpsychologie und der Hirnforschung den o. a. Sachverhalt bestätigen, lässt er sich auch ohne Kenntnis davon schon aus dem für diese Unterrichtsform meistens verwendeten Begriff des Frontalunterrichts selbst ableiten.

Frontalunterricht als an den militärischen Sprachgebrauch angelehnte Bezeichnung weist bereits auf die grundlegende Untauglichkeit dieser Unterrichtsform hin. Der Ausdruck Front enthält ja offensichtlich nicht nur die Konnotation von potentiellem oder aktuellem Angriff bzw. von dementsprechender Verteidigungsnotwendigkeit, sondern auch die von Sieg und Niederlage, wobei selbst eine erfolgreiche Abwehr ihrerseits nicht im eigentlichen Sinn des Wortes als Sieg empfunden wird. Auf den Frontalunterricht übertragen ist hier der Lehrende der Angreifer, also derjenige einen Sieg erringen möchte, wie aber soll erfolgreiches Lernen in einer Situation funktionieren, in der die Lernenden von vorneherein deutlich empfinden müssen, ohne jede Chance auf eigenen Sieg zur Niederlage verurteilt zu sein?

Wie bereits an anderer Stelle ausgeführt sind die Elemente des Lernens immer dieselben, nämlich

• Wahrnehmen
• Betrachten
• Beobachten
• Begreifen
• Tun

und im Frontalunterricht wird dieser Ablauf des Lernens mehr oder weniger brutal unterbunden, da es für die Lernenden weder entsprechende Anreize noch die Möglichkeit eigenen Erlebens bzw. Erfahrens gibt. Stattdessen findet günstigstenfalls das bereits erwähnte und von Druck gekennzeichnete Einprägen von Sachverhalten statt, hierin liegt auch der Grund, warum Lernende Unterricht vielfach als äußerst anstrengend und erschöpfend empfinden.

Frontalunterricht ist also eine generell ungeeignete Unterrichtsform, aber über diese leider vielfach missachtete Erkenntnis hinaus sind weitere Aspekte bedeutsam für eine erfolgreiche Lehrtätigkeit. Einer davon klingt vielleicht banal, betrachtet man jedoch die schulische Praxis, ist er es aber anscheinend nicht – gemeint ist, dass der Lehrende sich seiner Sache sicher sein muss, sprich, dass er wirklich „fit“ in seinem Gebiet ist.

Ein wesentlicher Teil direkter zwischenmenschlicher Kommunikation findet nonverbal, d. h. körpersprachlich statt, man geschätzt, dass dieser Anteil bei 2/3 liegt. Kaum ein Mensch ist in der Lage, die eigenen körpersprachlichen Äußerungen zu kontrollieren, hier „sagt“ also jeder in aller Regel immer die Wahrheit. Dies gilt selbstverständlich auch im Unterricht, wo sich auf den Unterrichtsgegenstand bezogene Unsicherheiten des Lehrenden für alle Lernenden unübersehbar in seiner Körpersprache ausdrücken. Damit hat sich der Lehrende aber in den Augen der Schüler als „Profi“ disqualifiziert, da das Gehirn jedoch alle eingehenden Informationen vor der Verarbeitung zunächst einmal auf Vertrauenswürdigkeit prüft, werden die seinen nicht mehr akzeptiert.

Auf die Praxis z. B. des Mathematikunterrichts übertragen heißt dies konkret, dass auch in Grundschule oder Sekundarstufe I nur der- oder diejenige unterrichten sollte, der fachlich ggf. auch in der Lage wäre, höhere Mathematik in der Sekundarstufe II zu unterrichten.

Nichts desto weniger hat Frontalunterricht einen unschätzbaren Vorteil – er ist wunderbar geeignet, als gutes schlechtes Beispiel zu dienen! Frei nach Thomas von Acquin muss man das Falsche erst einmal verstehen, um das Richtige zu begreifen, und hierfür ist der Frontalunterricht ein idealer Betrachtungsgegestand..
Kriegsan - 12. Jan, 23:51

Schöne Überschrift. Erinnert mich an meinen qualvollen Lateinunterricht...
Schöne Gedanken zum Seminar.

Heißt es wirklich konkret, das ein Lehrer, der in der Grundschule Mathe unterrichtet, fit in dem Stoff der Sekundarstufe II sein muss?
Reicht es nicht das er den Stoff bis zur Sekundarstufe I perfekt beherrscht.
Welcher Grundschüler fragt schon mal einer Kurvenfunktion?

Ich fand die Ausführungen von Herrn Schmid aber auch sehr interessant, habe drüber nachgedacht und denke, das es stimmt. Ein Mensch, der den Stoff den er vermitteln will absolut beherrscht, braucht kaum Didaktik.
Aber ohne geht es auch nicht. Und ohne eine Sozialkompetenz auch nicht.

clarisax - 13. Jan, 09:15

Na, ja, ich denke, es ist so ähnlich wie bei Automotoren. Ein großvolumiger starker Motor klingt bei sagen wir mal 120 km/h noch ganz entspannt und ruhig, während der 3-Zylinder eines Smart da schon einen Höllenlärm produziert und auch akustisch äusserst angestrengt wirkt. Fahren macht da keinen Spaß mehr!

Genauso ist es mit der Stoffbeherrschung beim Lehrer. Natürlich braucht der Grundschullehrer die höhere Mathematik nicht tatsächlich in seiner Praxis - aber wenn er sie beherrscht, "klingt" sein Unterricht ähnlich relaxed und kompetent wie der große Automotor, der ja auch noch über immense Leistungsreserven verfügt.

Aber derjenige, dem Mathe aber schon immer ein Greuel war und der jetzt Matheunterricht in der Grundschule gibt - diese Fälle gibt es! - der wird klingen und wirken wie ein Smart auf der Autobahn, nämlich angestrengt, am Ende seines Leistungsvermögens und offensichtlich ausserhalb seines Elements.
wivort - 13. Jan, 16:29

(K)ein Smart...

... auf der Autobahn - das Bild bleibt hängen! Und so gesehen machen Herrn Schmidts Ausführungen zu "Fitsein" auf einem Fachgebiet auch Sinn; ich konnte zunächst auch nicht ganz nachvollziehen, warum man für welches Fach auch immer, das man auf Grundschulniveau unterrichtet, den Stoff bis Sek II "draufhaben" sollte. Aber wer will schon ein Smart auf der Autobahn sein...
Danke für eine weitere "techniklastige" Erklärung :-)

Kriegsan - 13. Jan, 18:13

Autbahn

Stimmt schön anschaulich.

Nur ist dann die Grundschule keine Autobahn, sondern eher der Zubringer, da würde der Smart reichen... ; )

Aber Du hast recht, gerade in den Hauptfächern sitzen manche Leute, weil sie es "müssen", nicht weil sie es wollen oder gar beherrschen können.

juliah - 15. Jan, 16:33

Jede...

... absolute Aussage ist falsch, weil es nichts Absolutes gibt. So ist auch die Aussage falsch,
dass lehrerorientierter Unterricht Lernen unmöglich macht. Wenigstens schränkst du diese Aussage durch das „fast unmöglich macht“ ein. In bestimmten Unterrichtsphasen, bei einem ganz besonderen Unterrichtsklima oder in einer außerordentlichen Unterrichtssituation kann
lehrerorientierter Unterricht durchaus angebracht, opportun sein. Auch kann das von ganz spezifischen Sachverhalten abhängen. Grundsätzlich hat sogar ein kurzer Lehrervortrag – in
der Oberstufe selbst ein längerer – seinen sinnvollen Stellenwert. Das ist dann durchaus Teil sog. eigentlichen Lernens. Es hängt dabei ganz entscheidend vom Lehrer ab, wie überzeugend
und damit motivierend er den Lehrervortrag oder anderen lehrerorientierten Unterricht einsetzt.

juliah - 15. Jan, 16:35

Frontalunterricht...

... ist etymologisch durchaus nicht an militärischen Sprachgebrauch ange=
lehnt. „Front“ kommt aus dem Französischen, ist ein anatomischer Begriff und heißt einfach
nur „Stirn“. Eine weitere Bedeutung ist politischer Art, wie z.B. in „ front populaire“ (Volks-
front) und ganz selten militärischer Art, sondern noch eher ein klimatischer Begriff wie im
Deutschen Warm – oder Kaltfront. Front hat im Französischen eine noch viel weitere Palette
von Bedeutungen. Das Adjektiv „frontal“ ist ebenfalls primär anatomisch zu verstehen in Verbindung mit Namen wie z. B. Stirnbein( frz. os frontal) oder in Verbindungen wie Frontalzusammenstoß im Straßenverkehr. Der Ausdruck Front hat also nicht die Konnotation von Angriff und Verteidigung, schon gar nicht von Sieg und Niederlage. Das auch noch auf den Lehrenden zu übertragen, ist dann wohl eher böswillig. Frontalunterricht ist etwas ganz
anderes.

clarisax - 15. Jan, 18:42

... tja, wie du selbst schon sagst, ist das so im Französischen - aber eben dort und unsere gallischen Freunde waren ja schon immer etwas Besonderes! :-))

Mal im Ernst: die militärische Bedeutung des Begriffs Front in Frage zu stellen, erscheint mir - vorsichig ausgedrückt - etwas gewagt. Und was bitte sehr ist denn Frontalunterricht anderes als das von mir weiter oben geschilderte? Ich lehn mich jetzt mal entspannt zurück und warte auf eine Erklärung - wenn möglich aber bitte ohne Verweis auf französische Gepflogenheiten.
wirries - 16. Jan, 10:21

Lernen durch Lehren

"wie aber soll erfolgreiches Lernen in einer Situation funktionieren, in der die Lernenden von vorneherein deutlich empfinden müssen, ohne jede Chance auf eigenen Sieg zur Niederlage verurteilt zu sein?"

Danke für diesen militärischen Vergleich! Betritt man eine Schule. scheint es so, als wenn Schüler prinzipiell keine Lust auf Schule haben und wir Lehrer die Feinde sind. Der Grund scheint, zumindest ansatzweise, in der oben genannten Fast-Tatsache zu liegen. Die Aufgabe der neuen Lehrergeneration liegt also darin, freundliche Lernsituationen zu schaffen und die Schüler mit auf unserer Seite zu ziehen. Denn Lernen durch Lehren ist das Stichwort...
Gruß, Claudia

clarisax - 16. Jan, 15:41

>> ... Die Aufgabe der neuen Lehrergeneration liegt also darin, freundliche Lernsituationen zu schaffen und die Schüler mit auf unserer Seite zu ziehen. ...<<

Perfekt - DAS ist es!Na, ja, alter Besserwisser der ich bin würde ich statt 'freundliche Lernsituationen' vielleicht lieber 'lernfreundliche Situationen' sagen, aber ansonsten geht es genau darum, wie du es formuliert hast!
juliah - 23. Jan, 11:56

Natürlich...

...hat Front auch eine militärische Bedeutung, aber eine unter vielen und dazu sekundäre. In jedem Wörterbuch (deutsch - deutsch, englisch - deutsch, französisch - deutsch etc.) ist es aber nicht die erste Bedeutung. Das ist einfach so!! Unser Prof. kokettiert gerne damit, alle Lehrer schlecht zu machen und sie dann auch noch mit unangemessenen militärischen Vergleichen niederzumachen. Wir mögen ja alle unseren Prof., aber schießt er nicht über das Ziel hinaus, alle Lehrer zu diffamieren? Wir alle hatten sehr schlechte Lehrer, aber auch sehr gute. Und es ist wohl auch so, dass es auch gute Lehrer gibt, die sogar mit dem verpönten Frontalunterricht gute Lehrer sind. Die Lehrer haben in den letzten Jahrzehnten eine Vielfalt von Methoden entwickelt! Aber ist Gruppenunterricht oder sogenannter offener Unterricht immer positiv oder sehr gut? Das hängt ja wohl auch von der Lehrerpersönlichkeit und von den Schülern ab. Zudem ist Frontalunterricht - was ist das eigentlich? - die häufigste verwendete Methode. Sind diese Lehrer dann alle Flaschen:-)??

clarisax - 23. Jan, 14:40

Ist nicht ...

... die überspitzte Darstellung eines Sachverhaltes die beste 'Form, eine Diskussion anzuregen? Unter diesem Apekt finde ich es sogar spannend, wie sich diese hier entwickelt. ;-))

Wenn ich jetzt zugäbe, dass auch Frontalunterricht seine Berechtigung hat, würde ich dem Diskurs den Boden entziehen, ich tu' s daher einfach nicht. Du musst bei mir also schon noch etwas mehr Überzeugungsar beit leisten, denn der etwas pauschale Hinweis auf Lehrer, die damit Erfolg haben, reicht mir nicht als Argument. Wie ist dieser Erfolg - wenn es ihn denn tatsächlich gibt - begründet?
Kriegsan - 30. Jan, 19:50

Womit wir wieder beim Thema...

...Mercedes wären. :-) Immer wieder ein schönes Beispiel.

User Status

Du bist nicht angemeldet.

Aktuelle Beiträge

Du sprichst...
... mir aus der Seele! Ich habe das Semester über deine...
wirries - 2. Mär, 21:52
Danke!
Hallöle! Auch ich fand die letzte Veranstaltung irgendwie...
Kiki25 - 14. Feb, 16:43
And now the end ...
... is near - na, ja eigentlich ist es, was diese Veranstaltung...
clarisax - 13. Feb, 13:14
So...
...lassen wir mal den ganzen Frontalunterricht! Ich...
juliah - 11. Feb, 00:10
Ich wusste, dass ...
... dir der Tenor meines Eintrags diesmal gefallen...
clarisax - 10. Feb, 15:51

Suche

 

Status

Online seit 6770 Tagen
Zuletzt aktualisiert: 2. Mär, 21:52

About me
Erfolgreiches Lehren und Lernen
Klarinette und so ....
Profil
Abmelden
Weblog abonnieren